Eine gute Balance finden und alles zu seiner Zeit
Diese Text hat mich tief beeindruckt. Er verdeutlicht, dass beide Aspekte – das Lieben und das Geliebt werden – von gleicher Bedeutung sind, so wie ein Vogel beide Flügel benötigt, um zu fliegen.
Wir leben in einer Welt voller Gegensätze: oben und unten, ja und nein, Yin und Yang, gut und schlecht, weiblich und männlich. Diese Dualitäten sind essenziell und gleichermaßen bedeutsam. In jedem von uns existieren sowohl männliche als auch weibliche Qualitäten, unabhängig davon, ob wir Mann oder Frau sind. Entscheidend ist, dass wir diese beiden Seiten in Balance halten und die jeweiligen Eigenschaften zur richtigen Zeit wirksam werden.
Zur weiblichen Seite gehören Eigenschaften wie Rezeptivität, Mitgefühl, Hingabe, das Bewahren, Zuhören, Geschehenlassen und das Dasein für andere. Diese passiven Prinzipien sind von großer Bedeutung, denn sie fördern die Fähigkeit, still zu sein, zuzuhören, im Inneren zu verarbeiten und durch die Erfahrungen des Lebens Weisheit zu entwickeln – eine Art introvertierte Weisheit. Hier findet sich auch die Grundlage für ein gutes Miteinander, Verständnis, Liebe und Freundschaft.
Demgegenüber stehen die männlichen Qualitäten: Dominanz, das aktive Zugehen auf Dinge, Handeln, Bestimmen, Führen, Grenzen setzen und den Kurs vorgeben. Diese aktiven Prinzipien sind ebenso wichtig, denn sie ermöglichen es uns, auf dieser Welt etwas zu bewirken. Wir setzen uns für unsere Werte und das, was für uns Bedeutung hat, ein und können das, was uns heilig ist, schützen und behaupten.
Der weise Mann hatte recht: Ein Vogel kann nicht mit einem Flügel fliegen. Ebenso können wir unser Leben nicht in Balance bringen, wenn wir nur eine Seite – die männliche oder die weibliche – leben. Beide Seiten sind gleichermaßen wertvoll und müssen im richtigen Maß und in gleicher Wertigkeit in unser Leben integriert werden. Wenn diese Balance stimmt, sind wir in innerer Zufriedenheit und können unser Leben auf allen Ebenen erfüllen. Ist diese Balance gestört, gerät unser Leben aus dem Gleichgewicht, und wir können nicht “abheben”, sprich: glücklich sein und unser Leben voll und ganz auskosten.
Ich habe oft darüber nachgedacht, ob die männlichen und weiblichen Aspekte in meinem Leben ausgeglichen sind. Wenn ich innehalte und nachdenke, bemerke ich, dass ich in der Vergangenheit schon sehr früh in der Lage war, zu fühlen, zu verarbeiten und Weisheit aus meinen Erfahrungen zu gewinnen. Doch in Konfliktsituationen oder wenn etwas nicht stimmte, fehlte mir oft das Durchsetzungsvermögen. Mir fiel es schwer, klar meine Meinung zu äußern und Grenzen zu setzen. Meine Passivität hat dazu geführt, dass einige meiner Partnerschaften nicht konstruktiv bleiben konnten. Nicht aus der inneren Wahrheit heraus zu handeln, ist eine Quelle für viele Unstimmigkeiten im alltäglichen Leben sowie sogar für depressive Verstimmungen.
Auch in meiner Rolle als Vater sehe ich, wie wichtig es ist, empathisch zu sein, zu verstehen, was meiner Tochter wichtig ist, und sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Gleichzeitig ist es essenziell, aus meiner eigenen Lebenserfahrung heraus manchmal Entscheidungen für sie zu treffen oder Grenzen zu setzen. Wenn ich zu nachgiebig bin, verliert sie den Rahmen, den sie braucht, um zu lernen und um in dieser Welt klarzukommen. Wenn ich zu streng bin, nehme ich ihr die Möglichkeit, eigene Erfahrungen zu machen und daran zu wachsen.
In der Partnerschaft ist es ebenso wichtig, empathisch zu sein, sich einzufühlen und die Bedürfnisse des Partners wahrzunehmen. Aber genauso wichtig ist es, sich einzubringen, sich zu zeigen und aus den eigenen Bedürfnissen heraus zu handeln, um ein echtes Gegenüber zu sein.
Das Leben und viele Situationen haben mich immer wieder herausgefordert, meine Meinung zu äußern, einen Standpunkt zu bestimmen und sichtbar zu werden. So kann ich aktiv in vielen Situationen konstruktiv wirken. Dabei ist es wichtig, dies aus einer tiefen Wahrnehmung heraus zu tun, aus Liebe und Empathie zu meinem gesamten Umfeld. Diese Balance zu finden und immer wieder zu üben, ist eine lebenslange Aufgabe.
Wie ist in deinem Leben das Männlich und Weibliche ausgeprägt? Was sind deine Muster, um zu vermeiden und faule Kompromisse einzugehen? Wo nutzt du vielleicht sogar eine besondere Qualität von dir, um dich nicht zu konfrontieren und voranzugehen?
Das Gleichnis des Vogels mit den zwei Flügeln bleibt für mich ein kraftvolles Bild. Es erinnert mich daran, dass wir beide Seiten in uns brauchen und dass wahre Erfüllung und innerer Frieden nur durch die Balance dieser beiden Kräfte erreicht werden können. Wir können abheben und fliegen, wenn beide Seiten im Gleichgewicht sind. Abheben bedeutet, glücklich zu sein, das Leben zu erfüllen, Liebe zu leben auf allen Ebenen – mit einem Partner, mit Freunden, mit sich selbst, Erfüllung zu finden im Beruf, dem Ruf der Seele zu folgen, seine hier auf dieser Welt einzunehmen.
Durch meine Arbeit als Coach und Seminarleiter habe ich viele Menschen auf ihrem Weg begleitet und dabei gesehen, wie wichtig diese Balance ist. In den Seminaren und Coachings geht es oft darum, beide Seiten in sich zu erkennen und zu integrieren. Die Reise zu sich selbst und zu einem ausgeglichenen Leben ist nicht immer einfach, aber sie ist eine der lohnendsten, die wir antreten können.
Es ist eine Reise, die uns lehrt, uns selbst und anderen mit mehr Mitgefühl zu begegnen, unsere eigenen Grenzen zu respektieren und die der anderen zu akzeptieren. Es ist eine Reise, die uns zeigt, dass wahre Stärke in der Fähigkeit liegt, sowohl zu geben als auch zu empfangen, sowohl zu führen als auch zu folgen, sowohl aktiv zu sein als auch zu ruhen.
Wie ist es um deine Balance bestellt? Spürst du, dass beide Seiten in deinem Leben präsent sind und in Harmonie wirken? Vielleicht ist es an der Zeit, innezuhalten und zu reflektieren, wie du deine eigene Balance finden und bewahren kannst.